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::Jannis Poptrandov::

ZWAR GELB, JEDOCH NICHT DAS GELB 

 

Македонски

 

Im Lager, dreißig

Meter unter der Erde,

war es mal wieder

eng und stickig

und die Sonne

ließ sich selbst-

verständlich keine

einzige Sekunde

blicken, die gesamte

Frühlingskollektion

musste so schnell

wie möglich der

Zwischenkollektion

weichen, über

tausendsechshundert

Schuhkartons

warteten darauf

aus den Regalen

gefischt und

nach Bayern

geschickt zu werden,

direkt ins Feuer der

Mülldeponie.

Ich krallte mir einen dieser

blauen Kartons und

dann den nächsten und dann

fiel mir glücklicherweise

ein, dass vor elf Jahren

die US Armee in den

Irak einmarschierte,

dieses Jubiläum musste

unbedingt in einem

Gedicht verewigt

werden, also

schnappte ich mir

Stift und Zettel und

ließ es ordentlich

krachen. Kampfjets

dröhnten über

Bagdad, Bomben

detonierten, die

irakische Zivil-

bevölkerung

wurde in Fetzen

gerissen, die Bomben

hatten eine

ungeheure

Sprengkraft,

sie durchschlugen

sämtliche

Stockwerke

und drangen bis

tief in die Keller,

die Schutz suchenden

Familien hatten keine

Chance.

Nacht für

Nacht flogen

die Amerikaner

ihre Angriffe,

Gehirnmasse

klatschte an

die Wand,

der Vater

von acht Mädchen

verlor erst

das linke Bein,

dann das linke

Auge und dann

klingelte das Telefon.

Der Store-Manager

höchstpersönlich.

 

„Ja, bitte?“

„Ich benötige ganz dringend

den blauen Adistar Racer.

Größe 42. Mit gelber Sohle.“

„Alles klar. Bring´ ich dir.“

Ich zog den gewünschten Schuh

aus dem Regal, flitzte in den

Laden, warf dem aufgeregt

wartenden Kunden den Karton

vor die Füße.

„Hier. Bitte schön. Viel Spaß. Danke,

dass Sie da sind. Sie sind jederzeit

wieder herzlich willkommen. Sie

sehen heute absolut phantastisch

aus. Vielen Dank. Und bitte empfehlen

Sie uns weiter.“

 

Zurück im Lager kümmerte ich

mich wieder um den Krieg.

Nach jedem Luft-

angriff blieben

nur noch Klumpen

übrig. Dreißig, vierzig,

fünfzig, sechzig irakische

Körper ineinander

verschmolzen –

die Mutter mit dem

Onkel mit dem

Neugeborenen mit

der Tante, ein

gigantischer Brei

namenloser

Knochen,

vermengt mit

Haut,

Gewebe,

Haare, Gedärme,

Sand, Blut und

Metall,

ein Kunstwerk der

Hölle im Namen

der Demokratie.

Das Telefon klingelte.

Wieder der Store-Manager.

„Ich benötige ganz dringend

den blauen Adistar Racer.

Größe 42. Mit gelber Sohle.“

„Hab´ ich vor fünf Minuten

hochgebracht.“

„Die Sohle ist zwar Gelb, jedoch nicht

das Gelb.“

„Nicht das Gelb?“

„Der Kunde wünscht ein etwas

dunkleres Gelb. Das Gelb ist ihm

zu hell.“

Ich sagte nichts. Kein Wort.

„Hallo. Bist du noch dran?“

„Ja.“

„Im Internet hat er den Adistar Racer

mit einer hellgelben Sohle ent-

deckt und du hast ihm den Schuh

mit einer dunkelgelben Sohle gebracht.“

„Moment mal. Ich dachte der Kunde

wünscht seine Sohle in einem etwas

dunklerem Gelb.“

„Nein. Er wünscht seine Sohle mit

hellem Gelb. Die Sohle ist zwar Gelb,

jedoch nicht das Gelb.“

Hilma af Klint::The Dove, Nr. 12::1915

 

„Alles klar. Ich geh´ mal nachschauen.“

Ich rührte mich nicht vom Fleck.

„Tut mir leid. Haben wir nicht mehr.“

„Sicher? Laut System müssten noch zwei Paar in

der Größe vorhanden sein. Der Kunde hat extra bei

uns angerufen und ist dann durch die halbe Stadt

gefahren, um…“

„Nein, bei mir ist nichts.“

„Sicher?“

„Absolut.“

„Komisch. Das System scheint mal wieder

defekt zu sein.“

„Wäre ja nicht das erste mal.“

„Sind wenigstens die Schuhe schon verschickt?“

„Die  Tausendsechshundert für die Mülldeponie?“

„Genau.“

„Die sind gestern raus.“

„Klasse. Dann werde ich das so weiterleiten.“

„Was ist mit meiner Gehaltserhöhung?“

„Ist beantragt, wir brauchen jetzt nur noch

das Okay vom District Manager.“

„Alles klar. Danke. Und weitermachen.“

 

Im Lager, dreißig

Meter unter der Erde,

war es mal wieder

eng und stickig

und die Sonne

ließ sich selbst-

verständlich keine

einzige Sekunde

blicken, die Amerikaner

mussten nur viereinhalb

Tote beklagen, die Insassen

zweier Hubschrauber, die

ineinander krachten  und

einen betrunkenen G.I.

der seine Waffe putzte,

Saddams Zähne wurden

noch rasch auf Karies

untersucht und schwups

schon baumelte er

am Galgen, die Amis

hatten keinen Plan wie

es weitergehen soll, bald

detonierten die ersten

Bomben, selbst in der

grünen Zone  und nicht

nur dort, überall explodieren

Sprengstoffgürtel, in Basra,

Kirkuk, Tikrit, in Moscheen,

vor Krankenhäuser, auf Hochzeiten,

und plötzlich, wie aus dem Nichts,

tauchen radikale Extremisten auf,

keiner weiß, wo die jetzt auf einmal

hergekommen sind, und Dorfbewohner

werden gesteinigt, Journalisten enthauptet,

Giftgasfabriken erobert – Du und ich,

wir gehen weiter fleißig Turnschuhe kaufen

und Schnürsenkel, Eierbecher,

Holzschutzmittel, Winter-

reifen und in hundert

Jahren wird es immer noch

Versicherungen gegen

Haarausfall geben und die

Frühlingskollektion wird der

Zwischenkollektion weichen,

die Erde dreht sich schneller

und schneller, immer weiter

und weiter, solange bis sie

irgendwann auf den Mond

kotzt.

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                                                                                                     Hilma af Klint::The Dove no. 13::1915